Gedanken zur Corona-Krise von Christian Meyer
Wenn ich mich dem Corona-Thema nähere, dann ist die erste Empfindung: Es ist zu vielschichtig und schwierig, auch nur die wichtigsten Zusammenhänge darzustellen. Diese Empfindung verbindet sich mit einem tiefen Schmerz, weil es mir scheint, dass wir, dass die Menschheit mit der Art der Bewältigung eine wichtige Chance verpasst hat. Die Chance, innezuhalten; die Chance, wiederzuentdecken, was wirklich wichtig ist und zählt; zu entdecken, dass der Sinn des Lebens nicht darin besteht, möglichst oft und möglichst weit zu irgendeinem Hotel und Swimmingpool zu jetten, möglichst „All Inklusive“. Dass er auch nicht darin besteht, mehr zu konsumieren, wobei der Konsum ja nur vorgaukelt, er wäre Ersatz für die fehlende Empfindung von Würde und Wert. Dass der Sinn des Lebens anders zu finden ist.
Diese Chance wurde, nach allem was wir jetzt sehen, vertan. Und die Ursache liegt auch darin, dass die ganze Energie gerade auch der bewussteren Menschen in furchtbare Diskussionen, Debatten, Streitereien und Beschimpfungen vergeudet wurde, im Streit darüber ob das Virus jetzt gefährlicher sei als ein Grippevirus und ob durch das Tragen einer Maske das Grundgesetz in Gefahr gerät. Dieser Streit wurde geführt bis zur Erschöpfung, bis dahin, dass viele Menschen, eben gerade von denjenigen, die normalerweise für spirituelles Bewusstsein und Wandel stehen, sagten: ich kann nicht mehr. Ich kann nicht mehr darüber diskutieren, mir fehlt die Kraft dazu. „Der heimliche WHO-Chef heißt Bill Gates“ – das war ja vorher keine Verschwörungstheorie, das war 2017 der Titel eines mehrseitigen Dossiers der sicher unverdächtigen Wochenzeitung „ZEIT“ und in gleicher Richtung eine 90-minütige Dokumentation auf ARTE mit dem Titel: „Die WHO – im Griff der Lobbyisten?“ Wer nunmehr solches äußerte, geriet in den Verdacht, Verfassungsfeind zu sein. Andererseits war es furchtbar mitanzusehen, wie sehr große Teile der Kritiker der Corona-Maßnahmen es unkommentiert zuließen, dass die Rechtsextremen und Faschisten sich dieser entstehenden Bewegungen überall in der Welt anbiederten und versuchten, ihre grauenvolle Suppe zu kochen.
Für die einen gab es keinerlei Über-Sterblichkeit, Joe Biden sprach davon, dass mit einer halben Millionen Corona-Toten in den USA in einem Jahr mehr Amerikaner starben als im ersten Weltkrieg, dem Zweiten Weltkrieg und dem Vietnamkrieg zusammen. Was wäre gewesen, die ganze Energie für diesen Streit wäre eingesetzt worden nicht dafür, dass möglichst schnell alles wieder so läuft wie vorher, sondern dafür, dass es nur anders weitergehen kann.
Die Pandemie zeigt dem Menschen die Grenzen der Kontrollierbarkeit und Machbarkeit der Welt. Das ist der grundlegende Wahn, der Größenwahn der Neuzeit. Die Idee, durch immer mehr Technik die Welt als Ganzes und alle einzelnen Prozesse immer vollständiger kontrollieren und dann bestimmen zu können. Höhere Mächte, eine göttliche Macht, so etwas wie ein Schicksal wurden nicht mehr gebraucht. Analog zur Entdeckung der Größe des Universums wuchs die Idee von der Autonomie des Menschen. Auch die Idee, dass technisch alles gemacht werden dürfe, was gemacht werden kann, über die Folgen könne man sich dann ja später kümmern. Die Pandemie zeigt: Die materielle Sphäre des Daseins ist nicht dazu gemacht, Sicherheit darzustellen. Aber es könnte auffallen, dass es diese Sicherheit nie gegeben hat. Was ist mit der Klimakatastrophe, die beschönigend „Wandel“ genannt wird? Wo ist da Kontrollierbarkeit, selbst da, wo es um menschliches Verhalten geht? Was ist mit dem Artensterben, wo in den letzten 40 Jahren 78 % der Fluginsekten ausgestorben sind? Was ist mit dem Aussterben der Bienen, wobei es demnächst vielleicht niemanden mehr gibt, der die Blüten bestäubt, sodass Früchte und Nahrung wachsen können? Was ist mit der Vergiftung der gesamten Biosphäre und der Geosphäre? Der Evolutionsbiologe Prof. Matthias Glaubrecht (Hamburg) hält von den drei großen Katastrophen Artensterben, Klimakatastrophe und Pandemie das Artensterben für die schlimmste, für eine Krankheit, die ein Überleben der Menschheit „unwahrscheinlich“ machen wird.
Der große Philosoph und Theologe Romano Guardini hat in den vierziger Jahren darauf hingewiesen, dass über 10.000 Jahre Kultur und Wirtschaft des Menschen den Sinn hatten, den Menschen vor den Unwägbarkeiten der Natur zu schützen, gegen Kälte, Hunger, Sturm und Krankheiten. Und das sei im Beginn, umzuschlagen, dass nämlich Kultur und Wirtschaft zu Ursache für die Zerstörung der Natur würden. Damals gab es noch keine Ökologiebewegung und noch keine Klimakatastrophe. Es war nahezu prophetisch.
Politiker sagen, die Corona-Pandemie sei eine Naturkatastrophe. Wissenschaftler sagen, nein, nein ohne die kontinuierliche Einschränkung des Lebensraums für die Tier- und Pflanzenwelt würden die Viren gar nicht in die Nähe des Menschen kommen und ohne den Wahn, ständig auf der Basis günstiger, weil staatlich subventionierter Flugpreise an jedem Ort der Welt sich aufhalten zu können, könnte ein solcher Virus sich gar nicht in der ganzen Welt verbreiten. Es ist unsere Lebensweise, es sind unsere Prioritäten, es ist unsere Haltung gegenüber der Welt und gegenüber dem Ganzen, das mehr ist als das Universum, mehr als der Kosmos.
Aber die Pandemie und das staatliche Reagieren überall in der Welt zeigen ja auch noch etwas ganz anderes. Es gab ja immer schon in den letzten Jahrzehnten ganz im Gegenteil zu dem Wahn von Kontrollierbarkeit eine ganz merkwürdige und verstörende Ohnmacht, nämlich die Ohnmacht der Politik, die „angesichts der Sachzwänge“ nichts ausrichten und bewirken und nichts mehr gestalten könne, wobei mit den Sachzwängen ja im Wesentlichen die politischen Vorgaben der globalisierten Wirtschaftskonzerne gemeint waren. Gegen die Klimakatastrophe könne man ja keine Maßnahmen ergreifen, die Rendite-Ansprüche „der Wirtschaft“ reduzieren würde. Und dies entpuppt sich als eine große Lüge. Es zeigt sich, wenn politisch etwas gewollt ist, ist das durchsetzbar. Wenn den Menschen etwas erklärt wird, sind sie bereit ihr Verhalten zu ändern. Dies ist jetzt ganz unabhängig von der Beurteilung der politischen Maßnahmen oder auch dem Nachdenken über die Art des gesellschaftlichen Diskurses. Sowohl die Kontrollierbarkeit von Allem zeigt sich als ein Wahn, als auch die angebliche Ohnmacht angesichts vermeintlicher Sachzwänge als eine Lüge.
Der Mensch hat innerlich eine Sehnsucht nach Vollkommenheit und Ganzheit und Einssein. Er tut so viel, diese Sehnsucht zu beruhigen, zu beschwichtigen und zu verdrängen. Die gegenwärtige zunehmende Hyperaktivität, ein immer stärkeres rastloses Getrieben-sein ist ganz offensichtlich die Folge davon, dass diese grundlegende Sehnsucht mehr und mehr an die Oberfläche drängt. Aber diese Sehnsucht wird in der materiellen Sphäre nie eingelöst werden können, dazu ist sie nicht da, sie ist grundlegend von Dualität, von Gegensätzen und Widersprüchen bestimmt. Heilung geschieht, wenn diese Sehnsucht in der Dimension und Sphäre realisiert wird, wo sie realisiert werden kann, durch Transformation, durch Aufwachen, durch Erleuchtung. Das ist die eigentliche Botschaft auch dieser Pandemie. Das heißt überhaupt nicht, wir bräuchten uns um diese Welt, um diese Erde nicht zu kümmern. Nein. Nur: wenn du erst einmal den Frieden und die Glückseligkeit des Aufgewachten Seins erfährst, dann macht es sogar mehr Spaß und Freude, sich um die Welt zu kümmern.
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Transformative Spiritualität
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